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Interview mit Christoph Meißner, Historiker am Museum Karlshorst, über die Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkrieges am Ort der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945. Sehen Sie sich das vollständige Interview auf Deutsch auf unserem Youtube-Kanal an.
Vor 80 Jahren, am 8. Mai um 23 Uhr MEZ, eine Stunde vor Mitternacht, endete der horrende Zweite Weltkrieg in Europa mit ein paar dünnen Unterschriften: Oberbefehlshaber Keitel unterzeichnete namens der deutschen Wehrmacht - dem militärischen Arm des deutschen Faschismus - die bedingungslose Kapitulation gegenüber der Roten Armee. Es geschah in ihrem eigenen Offizierskasino im Ostberliner Stadtbezirk Karlshorst — seit 1967 befindet sich in dem Gebäude ein Museum. Schon am am 7. Mai 1945 hatten im französischen Reims auch die deutschen Armeen der Westfront ihre Kapitulation aktenkundig gemacht - gegenüber den übrigen Anti-Hitler-Alliierten, den USA, Frankreich und Großbritannien.
In einem Interview mit dem Dialogbüro erzählt der Historiker Christoph Meißner, Kurator und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Museum Karlshorst, wie in der Einrichtung jedes Jahr am 8. Mai um 23 Uhr an dieses historische Ereignis erinnert wird. Es hat sich seit 2014 stark verändert - parallel zu dem neuen Krieg, den das russische Regime unter Putin bereits seit elf Jahren gegen die Ukraine führt.
1941 bis 1945, als die deutschen Faschisten einen brutalen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion führten, waren die Russische Föderation und die Ukraine noch beide Teil dieser Union. Doch ähnlich dem Deutschen Reich unter Hitler war auch die Sowjetunion unter Stalin eine totalitäre und imperiale Diktatur - mit Millionen von Ermordeten, Verhungerten, Vertriebenen und Verschleppten. Eingeschlossen die Versklavung zahlreicher Völker, inklusive der Ukraine, die nach 1918 kurz eigenständig war. 1939 hatte beide Imperien gar in einem Geheimabkommen die Aufteilung Europas zu ihren Gunsten beschlossen - und die bis dato unabhängigen Länder zwischen sich bald gewaltsam erobert.
Wofür steht der 8. Mai 1945 heute? Für Christoph Meißner ist es klar - "für die Befreiung vom Nationalsozialismus": Das NS-Regime hatte den Hochmut, Imperialismus und Rassismus aus Deutschland mit millionenfachem Mord in Dutzende Länder getragen, etwa nach Tschechien, Polen und Frankreich, in die Sowjetunion, nach Großbritannien und in viele weitere Länder. Der Holocaust - die systematische Ausrottung der jüdischen Minderheit in Deutschland und den eroberten Ländern - ist dabei ein besonders perfider Bestandteil, aber doch nur ein Teil der grausamen Verbrechen der Nazis und ihrer Verbündeten in Europa.
Doch Christoph Meißner mahnt auch, dass man den Terminus "Befreiung" kritisch hinterfragen müsse. "Wer ist denn befreit worden?" Die Deutschen, die vorher Täter waren. Das heiße "nicht schwarz-weiß sehen – Befreiung vs. Niederlage – sondern wir müssen versuchen, wirklich die Grautöne auszuleuchten. Was heißt denn diese Befreiung überhaupt, für wen, von wem, durch was und von was" geschah sie? Er gibt ein paar Antworten darauf - siehe Teil 1 des Videos auf YouTube hier: https://t1p.de/hxtgq - und morgen, am 9. Mai, folgt hier auf FB Teil 2: Er handelt u.a. davon, wie man in dieser Zeit mit den Ansprüchen der russischen Seite auf Beteiligung umgehen kann, während sie selbst alle Tage einen brutalen, völkerrechtswidrigen Krieg führt und zur Begründung die Geschichte wie die Gegenwart manipuliert.
An diesem 9. Mai plant die russische Regierung eine große Militärparade in Moskau – es ist eine Parade der Propaganda. Sie will damit nicht nur ihre unverminderte Kriegswilligkeit und unheilvolle Aufrüstung demonstrieren, mit der sie die Ukraine schon jetzt alle Tage zerstört und die für alle in Europa gefährlich sind. Sie bemäntelt auch ihre Vollinvasion in die Ukraine und die Attacken gegen die demokratischen Länder Europas als angeblich "gute Sache" in Fortsetzung ihres Sieg 1945 – als gehe es wie damals um einen Sieg gegen Faschisten. Derweil wird ihr eigenes Vorgehen dem der deutschen und anderen europäischen Faschisten von damals immer ähnlicher – im In- und Ausland.
Als Generalfeldmarschall Keitel am 8. Mai 1945 um 23 Uhr die deutsche Kapitulation unterschrieb, war es in Moskau bereits 1 Uhr nachts am 9. Mai. Die Zeitenscheide damals war nur eine der Uhr. Heute ist sie auch eine politisch-ideologische: Wer am 8. Mai des Kriegsendes gedenkt, für den sind zumeist die Souveränität der Ukraine und der Erhalt des Völkerrechts wichtige Anliegen. Wer am 9. Mai feiert, ist leider in fast in allen Fällen zugleich ein Anhänger der Putinschen imperialistischen Ambitionen und seiner Gewaltherrschaft nach innen und außen.
Obwohl auch in diesen Tagen zu sehen ist, dass auch im Machtbereich des russischen Regimes sich einem Kriegsgedenken verbunden sehen, wie es wohl sein sollte: : Eine Erinnerung in Trauer um gemordete Menschen, zerstörte Länder und traumatisierte Gesellschaften. Und eine aktive Annahme der Aufgabe, durch die Überwindung gewaltsamer Diktaturen sowie den Schutz bzw. die Wiederherstellung des Völkerrechts auch das friedliche Zusammenleben der Länder wieder zu erreichen und zu sichern. Heute geht es dabei zuallererst um die Ukraine.
Wir danken dem Museum Karlshorst, Demokrati-Ja, unseren Partnern und allen, die sich für ein solches Gedenken einsetzen.
Stefan Melle,
Direktor Dialogbüro
Direktor Dialogbüro